Spring Breakers (2012, Harmony Korine)                                                                               

Die sagenumwobene Zeit der Frühlingsferien ist mal wieder angebrochen. Obwohl Candy, Faith, Brit und Cody komplett ausgebrannt sind, wollen sie dennoch um jeden Preis ihren langweiligen Alltag am nun menschenleeren Campus entkommen und nach Florida reisen. Das Ziel ist natürlich Spring Break.
 
Prüderie und Popkultur
 
Mit einer seltsam anmutenenden Behutsamkeit fängt Korine das exzessive Partyleben auf Spring Break ein. Wir tauchen immer wieder - oft pseudo dokumentarisch - ein in verschiedene Schauplätze, wo sich die feiernden Massen in voller Ekstase befinden. Meist sieht man nur viel Fleisch, welches sich hin un her bewegt; weit und breit keine Sicht von Zivilisation. Das ist es, was Spring Break-Besucher erwartet und was sie natürlich auch anstreben. Man will dieses ungehemmte, losgelöste Gefühl der Freiheit genießen.
 
Das besondere an diesem ungezwungenen Zustand ist, dass Korine ihn weiterführt. Er stoppt nicht, wenn die Ferien dann auch mal enden. James Franco's Charakter spricht es ja auch immer wieder an: "Spring Break, Spring Break forever". Doch, was offenbart sich uns infolge dieses "weiterführens"?
Wir sollten dafür zuerst einen Blick auf eine sehr denkwürdige Sequenz werfen: Faith telefoniert - unterdessen Spring Break noch immer im Gange ist - mit ihrer Großmutter und berichtet ihr von ihren Erlebnissen und Eindrücken. Ihre Schilderung scheint absurd zu den parallel laufenden Bildern. 
Wenn man nun allerdings denkt sie würde ihre Großmutter anlügen, täuscht man sich. Faith sieht nicht diesen unsicheren, anarchischen Zustand, wie wir die Korine's Film schauen. Sie sieht Spring Break mit ihren naiven Augen.
 
Hierbei ist es wichtig zu verstehen, dass Faith jedoch nicht diejenige ist, die sich von den feiernden Kids unterscheidet. Denn die Schlussfolgerung, dass gerade die Menschen die Spring Break besuchen - um da einmal im Jahr im geregelten Rahmen die Sau raus zu lassen, nur um dann wieder in ihren kalkulierten Alltag zurückzukehren - einen sehr prüden Lebensstil führen und weit entfernt sind von jeglicher Freiheit, ist unumgänglich. Sie sind genauso prüde wie Faith.
Als Alien die Mädels nach der Verhandlung abholt und das eigentlich schon beendete Spring Break plötzlich weiter geht, fühlt sich Faith nicht mehr Wohl in dieser Situation. Sie will wie der Rest der Spring Break-Besucher(die eben prüden Jugendlichen - welche genauso prüde sind, wie Leute die einmal im Jahr nach Mallorca fahren oder einmal in der Woche in einem geregelten Rahmen feiern) wieder zurück kehren in ihr behütetes, geregeltes Leben. Ihre drei Freundinnen verschwenden daran keine Gedanken. Sie sind es, die sich von der Masse unterscheiden. Das wird auch schon zu Beginn klar, als ihnen jedes Mittel recht ist und sie ein Restaurant wie wilde Tiere ausrauben. Sie unterscheiden sich zum einen von der Masse, sind aber zum anderen der Populärkultur am nähsten. Das ist kein Widerspruch - denn wir reden hier von der ungeschminkten Version der Popkultur. Die Version, die Miley Cyrus nachdem sie irgendeinen nuttigen Auftritt hinlegt nicht interviewt und sie danach wieder rüberkommt wie das nette unschuldige Mädchen von nebenan. Die Version die nicht im nachhinein versucht zu rationalisieren oder zu erklären. Die Mädchen verkörpern die vorgegebenen Ideale, nicht als Pose, als Show, wo man sagen kann: so ok das wars, jetzt geht es wieder weiter mit dem "normalen Leben"; nein. Die Mädels sind wirklich bereit für die vorgegebenen hedonistisches Lebensphilosophie ohne Konventionen und Regeln und unterscheiden sich somit grundsätzlich von der prüden Masse.
 
Die Gang
 
Der von Franco verkörperte Alien ist ein Abziehbild unserer Popkultur-Ideale; eine Art Lil Wayne-Abklatsch. Das spezielle bei seiner Figur ist, dass er die Ideale der Generation MTV jedoch nicht nur darstellt, sondern er sie tatsächlich lebt. 
Das Leben das die Mädels dann mit diesem Tony Montana-Wannabe führen, ist ein Leben wo es nur noch ums genießen geht. Man sieht immer wieder weiter nackte Körper und enthemmte, sinnentleerte ausschließlich des Genusses dienende Szenarien. Es gibt nichts mehr anderes, nicht mal irgendwelche Gespräche. Es wiederholen sich ständig nur mehr irgendwelche Floskeln. Ein sinnvolles Zweckverhalten gibt es nicht mehr. Es geht nur noch um Vergnügen, nur noch um Lust, nur noch um Feiern, Sex, Drogen; "Spring Break, Spring Break forever". Es ist genau das was die Popkultur in ihrer Ungeschminktheit darstellt. Die Gang gibt die Ideala 1zu1 wieder. Nur mit dem Unterschied, dass hier keiner nur posiert, sondern die Ideale wirklich ausgelebt werden. So schafft man es andauernd die Popkultur zu entheucheln und ihr aufgesetzte Maske zu durchbrechen. In der Szene wo man "Everytime" von Britney Spears anstimmt, hat dies dann seinen Höhepunkt. Eine Szene für die Filmgeschichte.
 
Faith und die restlichen Spring Break-Besucher würde so ein Zustand - wie ihn die Mädchen und Alien ausleben - beunruhigen; sie haben unbewusst Angst davor. Faith setzt sich lieber in den Bus und kehrt in ihr behütetes von Regeln umgebene Leben zurück. Ihre Freundinnen hingegen "spring breaken" weiter. Selbst für eines dieser Mädels wird es mit der Zeit, dann aber doch auch noch zu viel. Nachdem sie angeschossen wird, ist es auch für sie genug - auch sie will zurück in ihr behütetes zivilisiertes Leben. Auch sie steigt in den Bus und verlässt diesen gefühlten Zustand der Freiheit und der damit verbundenen Unsicherheit. Als sie dann im Bus die Heimfahrt antritt, wirkt sie fast wie gefangen hinter der Fensterscheibe. Sie schaut nochmal ins offene Meer und weiß spätestens als sie an der Brücke angelangt ist und ihr da ein Teil des Gerüsts in Form von Gitterstäben die Sicht auf das offene Meer versperrt, was sie hinter sich lässt und was sie erwartet. Dennoch kann sie nicht anders als zurück zu kehren und sich wehmütig für dieses kalkulierte, geregelte Leben zu entscheiden.
 
Die zwei verbliebenen Freundinnen gehen diesen Weg allerdings über die volle Distanz. Es sind die selben Mädchen die den Laden zu Beginn überfallen haben. Es sind genau die Charaktere, die das Spring Break umfassende ungeschminkte Gesicht der Popkultur ohne weiteres Stand halten können. Alien fühlte nicht ohne Grund eine Art Seelenverwandtschaft zu den Mädels. Er erkannte schnell, dass sie sich von der prüden Masse - welche Spring Break feiert - unterscheiden.
 
Ein Film für die Jugend
 
Spätestens im finalen Showdown - der in einem Ambiente stattfindet, wie es direkt aus einem 50 Cent-Musikvideo stammen könnte - wird es dann auch offensichtlich, dass Spring Breakers, entgegen vieler Annahmen, wirklich ein Film für sein jugendliches Zielpublikum ist. 
Nachdem die zwei verbliebenen alternativen Identitäten jener Zielgruppe das bürgerliche Leben schon längst hinter sich ließen, entgleisen sie nun endgültig von allen vorgegebenen Schienen, indem sie die popkulturellen Konventionen durchbrechen und symbolisch auf den Kopf stellen. Es gibt nun überhaupt keine Barrieren mehr; die "Bitches" sind Vergangenheit.
Dieser symbolische Showdown - und das ist das Besondere - geschah nicht um die vorgegebenen Popkultur-Ideale nun moralisch zu hinterfragen; nein. Hier geht es um die Aussicht auf die ausnahmslose Selbstbestimmung und die damit verbundene Freiheit. Das letzte was die zwei Mädels - nachdem sie in der finalen Szene im Lamborghini cruisen - tun werden, ist, sich wieder entmündigen lassen und sich in die Schule setzen, oder nach Hause zu fahren, zu ihren Eltern. Es ist das ultimative emanzipatorische Ende.
 
The Hangover
 
Dieses Ausbleiben einer moralischen Bewertung ist ein besonderes Merkmal von Spring Breakers. Der Film suggeriert nicht, dass dieser Lebensstil - den die Mädels dann mit Alien führen - falsch oder schlecht sei. Viel mehr umgibt diesen - auch aufgrund der neutralen Haltung - eine Art Faszination. Harmony Korine wird fälschlich hin und wieder mit Ulrich Seidl verglichen. Der hätte hier mit der Moralkeule geschwungen und uns belehrt. Korine geht in die total entgegengesetzte Richtung. Durch dieses eben nicht bewerten zieht der Film seine Radikalität. Für viele ist "Spring Breakers" dadurch - wenn vielleicht auch nur auf einer unbewussten Ebene - sicherlich zu radikal. Zu einem großen Anteil sind so auch bestimmt einige der Reaktionen des Publikums zu erklären. Dass gerade das jugendliche Publikum - welches hätte so viel mit diesem Film anfangen können - größtenteils negativ reagierte, ist bezeichnend. Ehe man sich mit Spring Breakers auseinandersetzt, lieber doch die geschminkte, behütete Version der Popkultur. Lieber noch mal den spießbürgerlichen "Hangover" schauen, oder irgendein hippes Musikvideo mit halb nackten Weibern, bevor man am nächsten Tag wieder in die Uni muss. Schließlich will man ja immer alles schön zuordnen können.
 
Diese angesprochene Radikalität ist übrigens mit den Endcredits, die funkelnd mit hipper Musik unterlegt sind, abrupt vorbei. Die emanzipierten Teenies verschwinden von der Bildfläche und zugleich schließt sich das Fenster. Übrig bleibt dann nur mehr alleine diese schillernde Oberfläche. Die Maske der Popkultur ist dann wieder auf.

 

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